Er stürmte vor 40 Jahren zum größten Sensationssieg, den Deutschlands Tennis jemals erlebt hat. Und Boris Becker war gerade mal 17 Jahre alt, als er schließlich im Wimbledon-Finale den Südafrikaner Kevin Curren am 7. Juli 1985 in einer unvergesslichen Sternstunde souverän bezwang. Bis heute ist der Leimener Himmelsstürmer von einst der jüngste Rasenkönig im Grand Slam-Reich an der Church Road. „Er war zu jung, um zu wissen, dass er zu jung war, um Wimbledon zu gewinnen“, lautete die vielleicht denkwürdigste Schlagzeile zum Triumph des Mannes, dessen Initialen „BB“ zum globalen Markenzeichen wurden.
Zufall oder nicht: Vier Jahrzehnte nach Beckers Coup an der berühmten Church Road macht sich eine vielversprechende deutsche Generation auf zu neuen Erfolgen im internationalen Tennis. Gleich vier 17-jährige Teenager sorgen auf den Tour-Courts für Furore: Justin Engel aus Nürnberg, Diego Dedura aus Berlin, Max Schönhaus aus dem sauerländischen Ense und Niels McDonald aus Schwerin. McDonald stemmte kürzlich als erster Deutscher seit Alexander Zverev wieder eine Grand Slam-Trophäe im Juniorenbereich in die Höhe – bei den French Open, wo er im rein deutschen Finale Weggefährte Schönhaus distanzierte. „Seit langer Zeit haben wir gleich eine ganze Gruppe von Spielern, die unheimlich Potenzial haben“, sagt Ralf Weber, der Turnierdirektor der TERRA WORTMANN OPEN, „das ist ein ganz besonderer Jahrgang.
Engel und Schönhaus gingen im Qualfikationsturnier des ATP 500-Rasenklassikers in HalleWestfalen an den Start. Dabei zeigte sich, dass Engel aus außergewöhnlichem Holz geschnitzt ist. Nicht einmal 24 Stunden nach seiner Viertelfinal-Niederlage in Stuttgart lieferte sich der Franke ein hochklassiges Erstrundenduell mit Roman Safiullin (ATP 74), in dem Engel zuguterletzt 6:7, 7:6 und 7:5 nach fast drei Stunden siegte. „So eine Vorstellung hat man von einem jungen deutschen Spieler hier schon lange nicht mehr gesehen“, bilanzierte Turnierdirektor Weber, „Justin hat vor allem eine Qualität: Keine Angst vor niemandem. Und eine Mentalität, immer 100 Prozent rausholen zu wollen.“ Erst am Sonntag musste Engel dem noch ungewohnten Wettkampfstreß auf der großen Tour Tribut zollen, er verlor in zwei Sätzen in der finalen Bewerbungsrunde für das Hauptfeld gegen den Österreicher Sebastian Ofner.
Lokalmatador Schönhaus lieferte dem Niederländer Jesper Jong in der ersten Qualifikationsrunde einen begeisternden Fight über drei Sätze – leider ohne Happy End. Turnierdirektor Weber zeigte sich dennoch beeindruckt: „Max steht ja 1000 Plätze in der Weltrangliste hinter de Jong. Und man hat keinen wirklichen Klassenunterschied gesehen. Das war eine tolle Leistung.“
Bei McDonald und Dedura hatte Turnierchef Weber im Vorfeld der 32. Turnierauflage der TERRA WORTMANN OPEN auch angefragt, ob sie eventuell am Mitwirken in der Qualifikation Interesse hätten. Doch Dedura wollte lieber weiter auf den Sandplätzen bleiben, und auch McDonald sah einen Einsatz auf dem ungewohnten Rasenbelag als verfrüht an. „Das hat mir imponiert, weil es zeigt, wie klar strukturiert die Jungs und ihr Umfeld sind. Und Entscheidungen treffen, die zu ihnen passen“, so Weber, „es macht ja auch keinen Sinn, hier vielleicht ohne Erfahrung abgeschossen zu werden.“
Tendenziell soll natürlich der enge Kontakt zu der erfrischenden neuen Generation aufrechterhalten bleiben, schließlich ist der Standort HalleWestfalen bekannt dafür, Talenten ganz früh eine Chance zu geben und ihnen Vertrauen zu schenken. Das allerbeste Beispiel ist ein gewisser Roger Federer, der Rekordchampion der TERRA WORTMANN OPEN, aber in der Gegenwart auch der aktuelle Weltranglisten-Erste Jannik Sinner. „Wir freuen uns nun über diese neue deutsche Tenniswelle“, sagt Weber, „da steckt eben auch eine Menge Zukunft für unser Turnier drin.“
Der komplizierte Übergang vom Junioren- ins Erwachsenentennis war für deutsche Teenager in den letzten Jahrzehnten oft genug ein massives Problem. Daniel Elsner zum Beispiel, vor McDonald der letzte Nachwuchssieger der French Open, kam nach einer Glanzsaison 1997 (er siegte auch bei den Australian Open) und dem Wechsel ins große ATP-Revier nie so richtig in Schwung. Auch die beiden ehemaligen U14-Weltmeister Rudi Molleker und Nicola Kuhn, die manche Experten sogar als potenzielle Top Ten-Akteure verorteten, schafften zuletzt nicht den erfolgreichen Sprung zu den Senioren. Nun ist die Hoffnung groß, dass die DTB-Viererbande mit Engel, Dedura, McDonald und Schönhaus den großen Durchbruch auf den großen Bühnen im Erwachsenentennis schafft.